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Interview

Interview: „Smart Services gehört die Zukunft“

Jörg Niemann, Professor für Wirtschaftsingenieurwesen an der Hochschule Düsseldorf, im Gespräch mit Stefan Pletsch, Partner bei der i-tec Business Consulting, einer auf digitale Transformationsprozesse spezialisierten Beratungsfirma.

Prof. Dr. Jörg Niemann: Herr Pletsch, Sie beraten verschiedene Branchen bei digitalen Change-Prozessen. Was ist das spezifische Merkmal des Maschinen- und Anlagenbau-Sektors?

Stefan Pletsch: Grundsätzlich gilt: Wir wollen Einzellösungen, die nicht skalierbar sind, weil sie nur zu spezifischen Kunden passen, vermeiden – sie wären für die meisten Firmen, von ganz großen Playern einmal abgesehen, schlichtweg zu teuer. Genauso vermeiden wollen wir aber „One-size-fits-it-all-Modelle“, die zwar aufwändig entwickelt wurden, aber nicht ausreichend granular auf die individuellen Bedürfnisse unterschiedlicher Unternehmen und Industrien eingehen. Im Maschinenbau muss die Digitalisierung wie in allen Branchen voranschreiten, wenn er international wettbewerbsfähig bleiben will. Der Sektor hat jedoch darüber hinaus seine eigenen Gesetze und Besonderheiten.

Niemann: Welche sind das konkret?

Pletsch: Im Service liegt heutzutage oft mehr Umsatz- und Gewinnpotenzial als im Absatz von Maschinen und Anlagen selbst. Services, die über den Standard hinausgehen, sind sehr viel margenintensiver. Für den Aufbau solcher Dienstleistungen bedarf es aber einer digitalen Infrastruktur.

Niemann: Können mittelständische Unternehmen diese selbst aufbauen?

Pletsch: Ich rate davon ab – nicht deshalb, weil wir solche Dienste anbieten, sondern weil es Spezialwissen erfordert, das Mittelständler gar nicht haben können.

Niemann: Worum geht es da konkret?

Pletsch: Zuallererst bedarf es einer klaren Vision, was mit Smart Services erreicht werden soll. Dann geht es an die Umsetzung, deren Basis eine klare Investitionsstrategie sein sollte. Gemeinsam mit dem Kunden entwickeln wir ein professionelles Datenmanagement, schlanke Innovationsprozesse und die richtigen digitalen Technologien. Wir beziehen in diesen Veränderungsprozess auch die Kunden des Maschinenbauers mit ein, dito seine eigenen Mitarbeiter, denn diese verfügen stets über ein tiefes Verständnis der Kundenbedürfnisse.

Niemann: Planen Sie immer gleich den großen Wurf, oder gehen Sie schrittweise vor?

Pletsch: Wir empfehlen Unternehmen, die ihre digitalen Serviceprozesse optimieren und ausbauen wollen, klein anzufangen und ihre Prozessketten Stück für Stück zu digitalisieren. Man muss nicht gleich eine große Plattform aufbauen.

Niemann: Birgt das nicht die Gefahr, dass gleich wieder Stückwerk entsteht?

Pletsch: Das lässt sich verhindern, indem man alle Prozesse in digitalen Applikationen abbildet mit dem Ziel, sie eines Tages vollständig zu einer Kette zu verbinden. Das bedeutet, von Anfang an darauf zu achten, dass alle Einzelprozesse die identische technologische Basis haben, was die Verarbeitung und Analyse der Daten angeht. Prozesse, Know-how und Kernkompetenzen müssen sauber dokumentiert werden. Idealerweise machen das externe Berater, die bereits Erfahrung in der Umsetzung solcher Transformationsprojekte haben – unter ihnen sollten unbedingt auch IT-Spezialisten sein. Externe Experten und Interim Manager betrachten die Situation von einer objektiven Warte, bringen Methodenvielfalt ein, fangen fehlende Ressourcen auf und entwickeln nicht zuletzt frische Ideen.

Niemann: Wie vermeidet man, dass Kunden das Gefühl haben, Digitalisierung passiere nur um der Digitalisierung willen?

Pletsch: Es ist in der Tat unser Job, dem Kunden zu erklären, dass er nicht nur Maschinen, sondern Services und Mehrwert verkauft. Die Digitalisierung verändert sein gesamtes Geschäftsmodell. Maschinen werden durch Services aufgewertet und laufen idealerweise in einem kompletten Ökosystem mit optimierten Liefer- und Wertschöpfungsketten. Die Maschine wird somit nur noch zu einem Teil des Produkts, das eher einer digitalen Dienstleistung gleicht.

Niemann: Mit welchen konkreten Wünschen treten die Firmen an Sie heran?

Pletsch: Die sind unterschiedlichster Art: Einige wollen ihre administrativen Prozesse digitalisieren, ihre Produkte nachverfolgen, oder eine Schnittstelle zu einer bestimmten Software entwickeln. Andere möchten den Vertrieb digitalisieren oder mit digitalen Tools ihr Projektmanagement unterstützen.

Niemann: Können Sie das anhand eines Beispiels erklären?

Pletsch: Ich würde dazu gern eine Firma heranziehen, die sich gar nicht so leicht einer bestimmten Branche zuordnen lässt, am ehesten noch der Logistik: Ein weltweit führendes Recycling-Unternehmen, das sich auf elektronische Abfälle (e-waste) spezialisiert hat, wünschte sich einen besseren Überblick über die Wertschöpfungskette und eine tiefere Integration derselben. Zulieferer, Abnehmer, Vertriebspartner – alle sollten miteinander vernetzt werden. Es sollte im besten Sinne des Wortes eine One-Stop-Shop-Lösung entstehen. Nach einer sorgfältigen Marktanalyse haben wir eine integrierte Plattform für Handel und Schrott-Recycling aufgesetzt. Diese ermöglicht es dem Unternehmen, individuelle, maßgeschneiderte Service-Lösungen anzubieten. Kernelement ist dabei die digitale Integration von Dienstleistern zur Abdeckung verschiedener Prozesse innerhalb der Elektro-Schrott-Wertschöpfungskette.

Das Model wurde mit einem Pilotkunden erprobt, optimiert, umgesetzt und nach Pilotabschluss in weitere Locations ausgerollt, die zusätzliche Gewinn Margin saldierte sich für einen Logistikstandort auf 220k € pro Jahr.

Niemann: Welche waren die erfolgskritischen Faktoren?

Pletsch: Wir mussten die Prozesse innerhalb der end2end-Wertschöpfungskette detailgenau ermitteln und abbilden sowie eine Wertstromanalyse unter Einbindung aller Stakeholder durchführen. Das so ermittelte Eco-System zeigte die Positionierung des Unternehmens innerhalb der Wertschöpfungskette klar auf. In einem Matrixvergleich mit dem Wettbewerb haben wir sodann die Entwicklungspotenziale herausgearbeitet.

Niemann: Auf welche Tools haben Sie dabei gesetzt?

Pletsch: Es kam dabei die Canvas-Methodik und -Logik zum Einsatz. Das ist ein Instrument, mit dem sich neue Ideen und Geschäftsmodelle schnell visualisieren und testen lassen. Die Methode erlaubt in einem frühen Stadium der Dienstleistungsentwicklung den Vergleich verschiedener Optionen und ist daher ein ebenso effizientes wie effektives Tool der Service-Steigerung. Zudem lassen sich sämtliche relevanten Geschäftsbereiche miteinbeziehen. Bei besagtem Recycling-Unternehmen ist es uns damit gelungen, das Service-Geschäft zu einem wichtigen Ertragsbringer zu machen.